Stellungnahme zum Konzept Thur+ (PDF)

 

Sehr geehrte Frau Regierungsrätin Haag, sehr geehrte Damen und Herren

Wir bedanken uns für die Möglichkeit, schriftlich zum Konzept Thur+ Stellung zu nehmen. Die Grüne Partei Thurgau begrüsst die Initiative des Kantons, den Thurgauer Abschnitt der Thur gesamthaft aufzuwerten – sowohl punkto Hochwasserschutz als auch punkto Ökologie und Naherholung.

Das vorliegende Konzept Thur+ wird die Zukunft der Thur und des Thurtals für Jahrzehnte prägen. Der Mitwirkungsprozess und das definitive Konzept bieten damit eine einmalige Chance für optimale Lösungen bezüglich Hochwasserschutz, ökologischer Aufwertung und attraktivem Lebens- und Erholungsraum – im Kernland des Thurgaus.

Aus diesem Grund – Jahrhundertchance! – fokussieren wir uns auf jene Punkte, die aus unserer Sicht dringend einer Nachbesserung bedürfen.

1. Gewässerraum

Die vorgesehenen Breiten stehen einer ökologischen Aufwertung entgegen; sie sind zu gering, als dass sich grossräumig eine natürliche Flussdynamik entwickeln könnte. Wir gehen nicht davon aus, dass die bestehenden Hochwasserdämme zugunsten des Flussraums versetzt werden (Ausnahme: bei den Auenwäldern von nationaler Bedeutung). Dennoch: Die natürliche (historische) Sohlenbreite – entscheidende Grösse für die Berechnung des Gewässerraums – wurde in der Regel deutlich zu klein berechnet. Dass der ohnehin eng bemessene Raum zwischen den Dämmen dann noch durch Interventionslinien eingeschränkt wird, verhindert die notwenige Flussdynamik vollends.

Antrag 1 Die natürliche Sohlenbreite ist aufgrund von Karten vor den ersten Regulierungen zu ermitteln, insbesondere der Sulzbergerkarte.

 Antrag 2: Der erhöhte Gewässerraum, welcher nötig ist, um 80% der ökologischen Funktionen zu erhalten, ist nach der Methode Roulier und aufgrund der ermittelten natürlichen Sohlenbreiten zu ermitteln.

Antrag 3: Auf Beobachtungs- und Interventionslinien ist in Abschnitten ohne Schutzbedarf zu verzichten.

Eigenartig ist das Vorgehen zur etappierten Ausscheidung des Gewässerraums. Zuerst soll ein minimaler, eigentümerverbindlicher Gewässerraum von 15 m beidseits ausgeschieden werden. Erst in einer späteren Phase soll der für eine künftige Aufweitung nötige Gewässerraum festgelegt werden. Dieses Vorgehen gewährt keine Rechtssicherheit; schafft falsche Planungsgrundlagen, die kaum korrigiert werden können. Konflikte bei jedem Teilprojekt sind programmiert. Wir verweisen hier auf die Stellungnahme der IG lebendige Thur, die dieses Vorgehen als rechtswidrig bezeichnet.

Antrag 4: Die Gewässerraumfestlegung wird nicht etappiert.  Bei der grundeigentümerverbindlichen Festlegung durch die Gemeinden wird jener Raum als Gewässerraum festgelegt, welcher für die Revitalisierung und den Hochwasserschutz nötig ist.

 

2. Revitalisierung der Auen

Dass nun die Hochwasserdämme hinter die Auen von nationaler Bedeutung verlegt werden, ist ein substanzieller Fortschritt gegenüber dem Konzept Stand 21.01.2019. Herzlichen Dank!

Allerdings wird die Revitalisierung der Auen von nationaler Bedeutung nur beschränkt möglich sein. Auch hier sind es die Interventionslinien, die – unnötiger Weise – eine dynamische Entwicklung der Auen auf rund der Hälfte der Flussauenkilometer verhindern. Die Entstehung von Stillwasserhabitaten, von semi-aquatischen, sowie geeigneten terrestrischen Lebensräumen bleibt infolge der Interventionslinie aus. Eine verpasste Chance.

Antrag 5: Die Interventionslinien sind so nach aussen zu legen, dass eine Revitalisierung der Auengebiete möglich ist.

Gerne beantworten wir die Fragen gemäss dem Raster «Mitwirkung Konzept Thur +» auf Ihrer Webseite.

Ist das Konzept Thur+ aus Ihrer Sicht zielführend und umsetzbar?                        Nein

Welches Hauptanliegen haben Sie neben dem Hochwasserschutz an das Konzept?

  •   Naturnahe Flusslandschaft
  •   Erholung an der Thur
  •   Erhalt der Artenvielfalt

Unterstützen Sie die folgenden behördenverbindlichen Festsetzungen:

Wasserbauliche und wasserrechtliche Massnahmen an der Thur haben sich nach den Vorgaben dieses Konzepts zu richten (2.1).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.1?                                      Ja

Bemerkungen zu 2.1: 2.15 besagt lediglich, dass die Umsetzung innert «rund 30 Jahren» erfolgen soll. Eine räumliche und zeitliche Etappierung mit einer Priorisierung wichtiger Abschnitte würden wir begrüssen.

 

Der behördenverbindliche Raumbedarf für die Thur ist im Plan „002 Behördenverbindlicher Raumbedarf 1:15’000 vom 15.01.20“ festgelegt (2.2).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.2?                                 Nein

Bemerkungen zu 2.2: «002 Behördenverbindlicher Raumbedarf 1 + 15 000 vom 15.0120» lässt sich auf der Webseite des Kantons nicht öffnen (?). Gemäss einer Präsentation des AfU vom 14.3.2019 heisst es: Fachkarte ʺbehördenverbindlicher Raumbedarf der Gewässerʺ steht den Gemeinden (Passwort) sowie den kantonalen Fachstellen im ThurGIS zur Verfügung → nicht öffentlich

Unklar also, womit wir einverstanden sein sollen. Klar hingegen ist, dass wir die etappierte Gewässerraumfestlegung ablehnen.

 

Das Schutzsystem ist so auszubilden, dass das hundertjährliche Hochwasser (Dimensionierungswassermenge HQ100 plus Freibord) innerhalb der Dämme der Thur schadlos abgeleitet wird (2.3).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.3?                                      Ja

 

Bei einem Hochwasser (ab HQ100 x 1.5) wird das Wasser gezielt in die Ausleiträume gemäss dem Plan „003 Ausleiträume Überlastfall 1:15’000 vom 15.01.20) abgeleitet (2.4).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.4?                                      Ja

 

Die Umsetzung des Konzepts Thur+ gewährleistet eine Verlangsamung der Sohlenerosion sowie das Erreichen eines Gleichgewichtszustandes zur Sicherung der Grundwasservorkommen (2.5).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.5?                                      Ja

Bemerkungen zu 2.5: Ob sich das gewünschte «Gleichgewicht in Bezug auf Erosion und Auflandung» einstellt, ist sehr fraglich, denn die angenommene Geschiebefracht ist offenbar deutlich zu niedig angesetzt. Das würde bedeuten: Die Sohle wird im Lauf der Jahre steigen, was die langfristige Hochwassersicherheit in Frage stellt. Wir unterstützen also diese Festlegung – habe aber grosse Zweifel, ob dieses Ziel erreicht wird.

 

Die Wasserkraftnutzung an der Thur bleibt mindestens an den bisherigen Orten möglich (2.6).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.6?                                      Ja

Bemerkungen zu 2.6: Die Optimierung der bestehenden Kraftwerksanlagen («Erneuerung der bestehenden Anlagen») hat sich auf den mechanischen / elektrischen Teil zu beschränken (+ selbstverständlich Fisch- Auf- und Abstieg) Veränderung einer Wehranlage, die die Stauwurzel deutlich nach hinten verlagert, würden wir ablehnen.

 

An geeigneten Stellen können Wasserentnahmestellen für die landwirtschaftliche Bewässerung geschaffen werden (2.7).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.7?                                 Nein

Bemerkungen zu 2.7: Neue Entnahmestellen lehnen wir ab, da in Perioden der Thur Wasser entnommen würde, in denen sie einen sehr niedrigen Pegel und (zu) hohe Temperaturen aufweist. Zusätzliche Wasserentnahme schadet der Biodiversität im Flussraum sehr. Die Landwirtschaft kann evtl. Grundwasser nutzen – und langfristig auf Kulturen wechseln, die entsprechend dem Klimawandel wärme- und trockenheitsresistenter sind.

 

Die Umsetzung des Konzepts Thur+ gewährleistet eine kontrollierte dynamische Entwicklung des Flussbetts zwischen den bestehenden Dämmen (2.8).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.8?                                 Nein

Bemerkungen zu 2.8: Selbstverständlich würden wir diese Festlegung unterstützen! Die Krux liegt beim Wort «kontrollierte». Das vorliegende Konzept mit sehr restriktiven Begrenzungslinien wird die dynamische Entwicklung zwischen den Hochwasserdämmen weitgehend vereiteln! Siehe unsere Anträge 3 und 5.

 

Für die Einhaltung der gewünschten dynamischen Entwicklung des Flussbetts werden im Rahmen der Korrektionsprojekte Beobachtungs- und Interventionslinien in Anlehnung an den Plan „004 Beobachtungs- und Interventionslinien 1:15’000 vom 15.01.20“ festgelegt (2.9)

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.9?                                 Nein

Bemerkungen zu 2.9: Siehe unsere Anträge 3 und 5.

 

Die Umsetzung des Konzepts Thur+ gewährleistet eine Verbesserung der Biodiversität im Gesamtsystem Thur (2.10).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.10?                                    Ja

Bemerkungen zu 2.10: Selbstverständlich unterstützen wir diesen Grundsatz. Allerdings verpasst Thur+ eine Jahrhundertchance zur Förderung der Biodiversität – dies insbesondere infolge des zu eng bemessenen und durch Interventionslinien zusätzlich eingeschränkten Raums für eine natürliche Dynamik.

 

Die Thur bleibt für eine verträgliche Erholungs- und Freizeitnutzung durch die Bevölkerung zugänglich (2.11)

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.11?                                    Ja

 

Die bestehenden nationalen Auenschutzgebiete werden gemäss dem Plan „005 Auenschutzgebiete 1:15’000 vom 15.01.20“ an das dynamische Thursystem angebunden (2.12).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.12?                                    Ja

Bemerkungen zu 2.12: Selbstverständlich unterstützen wir diese Festlegung. Siehe auch Antrag 5 unserer Stellungnahme.

 

Korrektionsprojekte werden unter frühzeitigem Einbezug der betroffenen Kreise ausgearbeitet (2.13).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.13?                                    Ja

 

Korrektionsprojekte orientieren sich an den Plänen „006 Gewässerentwicklungsplan 1:15’000 vom 15.01.20“ (2.14).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.14?                               Nein

Bemerkungen zu 2.14: Grundsätzlich soll der Raum zwischen den Hochwasserdämmen der Thur gehören. Aus:  Thur+   Hochwasserschutz- und Revitalisierungskonzept Teil I,  S 5:  «Die weitergehende, erwünschte Aufweitung auf die natürliche Flussbreite wird anschliessend der Thur überlassen.» Damit wird das dritte Hauptziel erreicht: «Der Raum zwischen den Dämmen wird ökologisch aufgewertet.»

Dieser Grundsatz / dieses Ziel wird in einigen Fällen deutlich verletzt. Interventionslinien schränken die Flussdynamik zu sehr ein.  Beispiele:

Beispiel Exerzierplatz: Hier verläuft die Interventionslinie entlang dem Ufergehölz; der Exerzierplatz – obwohl innerhalb der Dämme – bleibt LN. Ein Kompromiss, zu dem wir bereit wären, sieht anders aus.

 


Beispiel Underi Wide / Junkerholz: Grundwasserschutzzonen S2 verlangen lediglich keine Ausbeutung von Kies, keine Deponien, keine Betriebe, von denen eine Gefahr für das Grundwasser ausgehen könnte. Dennoch werden sie durch Interventionslinien peinlichst geschützt. Zudem soll der uferferne Damm abgebrochen werden, und ein extrem flussnaher neuer Damm ist vorgesehen. Ein Kompromiss: Damm und Interventionslinie gemäss blauer Linie.

 


Beispiel Frauenfeld, Murgmündung: Östlich der Murg: Hervorragend. Westlich: Hier fragen wir, ob nicht eine Lösung möglich ist, die mit konsequent hinter den Auenwald verschobenem Damm (inkl. Interventionslinie) eine Flussdynamik im Auenwald zulässt. Wurde auch schon eine Verschiebung der Grundwasserfassung ins Auge gefasst? Die Strasse dürfte kaum das Problem sein, liegt sie doch erhöht und ist zudem mit seitlichen Wällen geschützt (oder mit wenig Aufwand zusätzlich zu schützen). Hier könnte ein höchst attraktiver Hotspot entstehen.

 

Die Umsetzung erfolgt etappenweise über einen Zeitraum von rund 30 Jahren (2.15).

Unterstützen Sie die behördenverbindliche Festlegung 2.15?                               Nein

Bemerkungen zu 2.15: Eine zeitlich und räumlich verbindlichere Festlegung wäre sicher hilfreich. Siehe auch Bemerkungen zu 2.1

 

Mit freundlichen Grüssen

Kurt Egger                                                           Toni Kappeler
Präsident Grüne Thurgau                                   Kantonsrat Grüne