
«Vorteil naturnah» fördert die Lebensqualität
Beitrag von Ernst Ritzi
Die Stadt Weinfelden wird vom Kanton für ihre Anstrengungen zur Förderung der Biodiversität gelobt. Matthias Künzler, Leiter der Abteilung Natur und Landschaft, erhofft sich eine Vorbildwirkung für die Privatgärten.
Auf den ersten Blick ist es für die Augen gewöhnungsbedürftig, wenn öffentliche Grünflächen naturnah gestaltet und gepflegt werden. Auf einem öffentlichen Rundgang, zum die Weinfelder Grünen am 24. Mai eingeladen haben, hat Martin E. Götsch die interessierten Besucherinnen und Besucher in die Welt der naturnahen Umgebungsgestaltung und -pflege eingeführt. Als Fachberater hat Umweltingenieur Martin E. Götsch mit seinem Büro «Blan B» bei der Erarbeitung der Biodiversitätsstrategie mitgewirkt, die die Stadt Weinfelden in Zusammenarbeit mit Schule und Kirchgemeinden erarbeitet hat. Schrittweise sollen in Weinfelden in den nächsten Jahren 55 öffentliche Grünflächen naturnah umgestaltet werden.

Umstellung ist gewöhnungsbedürftig
Die Umstellung ist für die Augen gewöhnungsbedürftig, weil streng abgegrenzte Rasenflächen und mehrmals im Jahr neu bepflanzte Blumenbeete durch naturnah mit einheimischen Bäumen, Stauden, Blumen und Pflanzen und Totholz, Kies und Steinen bedeckte Flächen ersetzt werden. Meist wird auch ein Teil des Humus entfernt und aus nährstoffreichen Standorten werden eher steinige und trockene Standorte, an denen einheimische Pflanzen gedeihen, die keinen Dünger und möglichst kein zugeführtes Wasser benötigen.
Mit Schildern «Vorteil naturnah» gekennzeichnet
Die Flächen sind mit Schildern «Vorteil naturnah» gekennzeichnet. «Die Bepflanzung ist davon abhängig, wie die Sonneneinstrahlung ist und wie der Boden beschaffen ist», erklärt Martin E. Götsch die Philosophie der Umgestaltung. Sie verlangt von den beauftragten Gartenbauunternehmen und von der Stadtgärtnerei bei der Pflege spezielle Kenntnisse. Bei der Umgestaltung gehen die Verantwortlichen bei bestehenden Bäumen auch «Kompromisse» ein und lassen Bäume stehen, die nicht in jedem Fall standortgerecht oder einheimisch sind. Die umgestalteten Flächen dienen der Biodiversität und der Vernetzung der natürlichen Lebensräume für einheimische Pflanzen und Tiere. Im Siedlungsraum entstehen – zum Teil umgeben von stark befahrenen Strassen – kleine Lebensräume für Tiere wie Bienen und Insekten.

Biodiversität auch Thema für Privatgärten
Im Anschluss an den kleinen Rundgang durch die Stadt stellte der in Weinfelden aufgewachsene Matthias Künzler die Biodiversitätsstrategie des Kantons vor. Künzler leitet die Abteilung Natur und Landschaft im kantonalen Amt für Raumplanung. Er lobte die Stadt Weinfelden für ihre Anstrengungen zur Förderung der Biodiversität. Von der naturnahen Gestaltung des öffentlichen Raums erhofft er sich eine Vorbildwirkung für Privatgärten und damit für die Förderung der Biodiversität und der Vernetzung der natürlichen Lebensräume für Pflanzen und Tiere im Siedlungsgebiet. Der Kanton hat dazu das Projekt «Natur daheim» lanciert. Gartenbesitzerinnen und -besitzer können sich beraten lassen, wie sie ihren Garten oder ihren Balkon schrittweise naturnaher gestalten können. Unverbindliche Anfragen sind zu richten an: naturdaheim@tg.ch oder Telefon 079 447 02 96.
Als Hinweise für konkrete Schritte zu einer naturnahen Gestaltung der Gärten erwähnte Matthias Künzler: Einheimische Arten fördern, invasive Neophyten eindämmen, keine Herbizide, keine Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Mähinseln stehen lassen, im Gartenzaun einen Durchgang für Igel offenlassen und Hecken mit einheimischen Pflanzen (z. B. Eiben).

Kanton Thurgau setzt Biodiversitätsstrategie um
Dass vermehrte Anstrengungen zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität nötig sind, machte Matthias Künzler in einer Präsentation im evangelischen Kirchgemeindehaus klar. Im Thurgau stehe es um die Biodiversität nicht besser als im Rest der Schweiz: «Wir sehen zwar ermutigende Signale – die biologische Vielfalt nimmt nicht weiter ab, die Talsohle ist vermutlich erreicht. Doch in anderen Kantonen des Mittellands erholte sich die Biodiversität bisher schneller als bei uns.»
Künzler zeigte sich zuversichtlich, dass der Kanton Thurgau nicht hinter den Rest der Schweiz zurückfallen werde. Mit der Biodiversitätsstrategie und mit dem vom Grossen Rat beschlossenen Massnahmenplan 2023 bis 2028 werde mehr für die Natur getan, nicht nur in den Naturschutzgebieten, sondern auch im Offenland und Wald, in den Gewässern und in den Siedlungen.
Dass der Erhalt der Biodiversität auch für den Menschen von grosser Bedeutung ist, ist der Wissenschaft unbestritten. Für Matthias Künzler gehört die Biodiversität zur Lebensqualität: «Die Natur arbeitet für uns, sie ist wertvoll und sie gehört zu uns.»