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Öffentliche Veranstaltung zum Hochwasserschutz und zur Renaturierung der Thur
Veranstaltung der Grünen des Bezirks Weinfelden mit der Bauernfamilie Huggel, Fachleuten und Interessenvertretern beider Seiten
Thurkorrektion – Der Dialog steht noch am Anfang
Wie viel landwirtschaftliches Kulturland ist nötig, um die Thur hochwassersicherer und als natürlichen Lebensraum vitaler zu machen?
Beitrag von Ernst Ritzi
Eine von rund 40 Personen besuchte öffentliche Veranstaltung der Grünen des Bezirks Weinfelden im «Golden Dachs» in Weinfelden gab am vergangenen Donnerstag einen Einblick in das Projekt Thur3 des Kantons und die sich widerstrebenden Interessen. Als kritischer Beobachter des Projekts zeigte Pro Natura-Präsident Toni Kappeler Verständnis dafür, dass sich die Bauernfamilie Huggel aus Bussnang wünscht, dass sie «rasch» weiss, wie es mit ihrem Hof an der Thur weitergehen soll.
Handlungsbedarf beim Hochwasserschutz
Unabhängig davon, wie die Interessen von landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz gewichtet werden, besteht beim Hochwasserschutz der Thur zwischen Weinfelden und Frauenfeld Handlungsbedarf. «Die Dämme müssen umfassend saniert werden und weil das Mittelgerinne zu schmal ist, sacken die Flusssohle und damit auch der Grundwasserspiegel ab», beschreibt Philemon Diggelmann, Abteilungsleiter Wasserbau und Hydrometrie des kantonalen Amtes für Umwelt, den aktuellen Zustand. Abhilfe sei möglich, wenn die Dämme erneuert und das Flussbett ausgeweitet werde.
Tierbauten haben den Dämmen zugesetzt
Die Bedeutung des Hochwasserschutzes untermauert Diggelmann mit Zahlen: «Es geht entlang des 45 Kilometer langen Thurlaufs in unserem Kanton um den Schutz von Gebäuden und Infrastruktur im Wert von einer Milliarde Franken und in der Thurebene von 3’750 Hektaren bestem Kulturland.» Den Dämmen zugesetzt haben unter anderem Tierbauten (Fuchs, Dachs und Biber). Der Dammbruch beim Hochwasser 1999 in der Nähe von Pfyn sei wohl auf die Schwächung durch solche Tierbauten zurückzuführen gewesen.
Maag: Betroffene ins Boot holen
Das konkrete Gesamtkonzept Thur 3, das den 17 Kilometer langen Flussabschnitt von Weinfelden bis zur Murgmündung bei Frauenfeld umfasst, wurde von Projektleiter Rolf Maag von der Abteilung Wasserbau und Hydrometrie des kantonalen Amtes für Umwelt vorgestellt. «Es liegt uns daran, die Betroffenen mit ins Boot zu holen und alle Interessen angemessen anzuhören und in die Lösung einzubeziehen», beschreibt Maag die «Generationenaufgabe», die jetzt beginne. Wasserbautechnisch werde ein «Systemwechsel» vollzogen: «Ein Jahrhunderthochwasser soll schadlos abgeleitet werden können. Die Flusssohle soll stabilisiert werden und die Biodiversität mit vernetzten Korridoren gefördert werden.»
Kulturland im Thurvorland betroffen
Für das Projekt Thur3 wird aktuell mit Kosten von 360 Millionen Franken gerechnet. Mit der angestrebten Ausweitung des Flussbettes sollen die aktuell ausserhalb der Flussdämme liegenden Auenschutzgebiete wieder mit dem Flusslauf verbunden werden. Von der Ausweitung des Flusslaufs werden vor allem die landwirtschaftlich genutzten Flächen im Thurvorland zwischen den bestehenden Hochwasserschutzdämmen betroffen sein. Das Projekt geht von einem erweiterten Gewässerraum von 80 bis 100 Metern Breite aus. Davon sind landwirtschaftlich genutzte Flächen betroffen.
Zwei Jungbauern wollen Planungssicherheit
«Wir würden einen Drittel unseres Landes verlieren», beschreiben Andri und Cyril Huggel aus Bussnang ihre Situation. Sie sind im Begriff, den an der Thur liegenden 45 Hektaren umfassenden Landwirtschaftsbetrieb von ihren Eltern zu übernehmen. Die beiden Jungbauern wollen wissen, wie die Zukunftsperspektiven für ihren Hof und für die rund 15 Hektaren Kulturland im Vorland der Thur aussehen: «Wir haben Verständnis für den Hochwasserschutz und die Förderung der Biodiversität, aber es braucht einen tragbaren Kompromiss und wir wollen wissen, woran wir sind.»
Oettli: 80 bis 100 Meter sind zu viel
Die Interessen der Landwirtschaft im Zusammenhang mit den Thurprojekten werden von der Interessengemeinschaft Thur vertreten. Der frühere Schönholzerswiler Gemeindepräsident Fredy Oettli nimmt in seinem Votum Bezug auf einen Brief, den die Interessengemeinschaft kürzlich an die Thurgauer Regierung geschrieben hat: «Wir sind der Meinung, dass die Ausweitung des Gewässerraums auf eine Breite von 80 bis 100 Metern zu weit geht. Die Ausweitungen des Flussraums sind auf das für den Hochwasserschutz Nötige zu beschränken.» Die IG Thur setzt sich mit Nachdruck für den haushälterischen Umgang mit dem Kulturland und für den Erhalt der landwirtschaftlichen Nutzflächen ein. Mit dem Konzept Thur3 würden im Thurvorland rund 80 Hektaren Kulturland der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Mit dem Verlust von wertvollen Fruchtfolgeflächen sieht Fredy Oettli die Nahrungsmittelsicherheit der Schweiz zusätzlich gefährdet: «Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz liegt aktuell noch bei 52 Prozent.»
Kappeler: Gewässerschutzgesetz setzt Rahmen
«Wir erwarten nichts anderes als die Umsetzung des eidgenössischen Gewässerschutzgesetzes», rechtfertigt Toni Kappeler, Präsident von Pro Natura Thurgau, die kritische Begleitung des Konzepts Thur3 durch die Umweltverbände. Das Gesetz verlange nicht mehr und nicht weniger, als dass bei Eingriffen und Korrekturen von Fliessgewässern der «natürliche Verlauf des Gewässers möglichst beibehalten oder wiederhergestellt wird.» Kappeler bezeichnet die korrekte Berechnung der nötigen Sohlenbreite des Flusses als Grundlage für jedes Projekt. Daraus würde sich auch die nötige Breite des Gewässerraums ergeben. Den im Konzept Thur3 vorgesehenen Gewässerraum von 80 bis 100 Metern Breite, hält Kappeler für angemessen. Der Sulzbergerkarte von 1837 könne entnommen werden, dass der ursprüngliche Gewässerraum der Thur vor der ersten Thurkorrektion zwischen 66 und 220 Meter betragen habe.
Bei den konkreten Einzelprojekten signalisiert Kappeler Gesprächsbereitschaft: «Bei jedem Einzelprojekt wird eine Interessenabwägung vorzunehmen sein, die die Interessen des Hochwasserschutzes, des Gewässerschutzes, der Trinkwasserversorgung und der landwirtschaftlichen Fruchtfolgeflächen gegeneinander abwägt. Dabei sind Hochwasserschutz und Gewässerschutz sind gleichrangig zu betrachten.»
Eine Lanze bricht der Pro Natura-Präsident für das Anliegen der betroffenen Bussnanger Bauernfamilie Huggel: «Für einzelne landwirtschaftliche Betriebe, deren Existenz gefährdet ist und die damit keine Planungssicherheit haben, sind rasch Alternativen zu suchen.»