Vernehmlassung zum Zahlungsrahmen Nationalstrassen 2024–2027…
Eschlikon, 27. April 2022
Wir bedanken uns für die Möglichkeit, sich an dieser Vernehmlassung beteiligen zu können. Die Prioritäten, die hier gesetzt werden, sind verständlich und aus unserer Sicht richtig: Werterhalt des Nationalstrassennetzes, Sanierung der Engpässe mit den häufigsten Staustunden. Auch die Beurteilungskriterien, nach denen Projekte eingeteilt werden, sind nachvollziehbar. In unserer Stellungnahme äussern wir uns deshalb hauptsächlich zum Thurgauer Projekt Bodensee-Thurtal-Strasse (BTS).
Generelle Aspekte zur Vernehmlassungsvorlage
- Sind Sie mit den Grundzügen der Vorlage einverstanden?
– Die Grundlagen, auf denen die Beschlüsse zum Unterhalt, zum Ausbauschritt 2023 und zu den Realisierungshorizonten 2030 und 2040 beruhen, sind im erläuternden Bericht plausibel und umfassend dargestellt.
– Die Kriterien, nach denen Projekte – auch der NEB-Strecken – beurteilt werden, sind sachgerecht.
- Gibt es Themen, die Ihrer Ansicht nach zu wenig berücksichtigt wurden?
– 1.4.2 Klimaziele der Schweiz: Wie verbindlich ist die Bereitstellung der finanziellen Mittel für die hier erwähnten «Schnellladestationen auf Rastplätzen und die Produktion erneuerbarer Energien auf Flächen der Nationalstrassen-infrastruktur»? Ist dazu bei «Betrieb, Unterhalt und Ausbau» ein separater Posten vorgesehen?
Zahlungsrahmen Nationalstrassen 2024–2027 für den Betrieb und den Unterhalt sowie für den Ausbau im Sinne von Anpassungen
- Ist der beantragte Umfang des Zahlungsrahmens Nationalstrassen 2024–2027 nachvollziehbar?
– Aus unserer Sicht hat der Werterhalt des Nationalstrassennetzes oberste Priorität. Die veranschlagten 1.2% des Wiederbeschaffungswertes für den jährlichen Unterhalt sind deshalb zwingend notwendig. Ungenügende Investitionen in den Unterhalt rächen sich früher oder später. Zudem kommen mit weiteren Ausbauschritten und den NEB-Strecken weitere Infrastrukturen dazu, die entsprechenden Unterhalt erfordern.
Strategisches Entwicklungsprogramm Nationalstrassen
- Ist das Strategische Entwicklungsprogramm Nationalstrassen in Bezug auf den Projektumfang vollständig?
– Das STEP teilt Projekte nach klaren Beurteilungskriterien in verschiedene Realisierungshorizonte ein. Die Kriterien sind nachvollziehbar, priorisieren sie doch Projekte, die das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis haben, bzw jene, die dringlich sind (Engpässe, 30 230 Staustunden 2019)
- Wie beurteilen Sie die Zuteilung der Erweiterungsprojekte zu den Realisierungs-horizonten und zum Ausbauschritt 2023?
– siehe Frage 4
Weitere Bemerkungen
- Welche weiteren Bemerkungen haben Sie zur Vernehmlassungsvorlage?
– 2.3.5.4 Vorhaben, die der Bund grundsätzlich überprüft
Bodensee-Thurtal-Strasse
Aufgrund der Beurteilungskriterien – siehe Beantwortung Frage 4 – gehört die BTS in keinen der Realisierungshorizonte. Dass das ASTRA die Bodensee-Thurtal-Strasse BTS nicht ins STEP Nationalstrassen aufnimmt, ist aus unserer Sicht richtig; alles andere wäre systemwidrig, da dieses Projekt die Beurteilungs-kriterien des Bundes nicht erfüllt. Die BTS ist mit den verkehrs- und umwelt-politischen Vorgaben des Bundes nicht kompatibel.
Kosten-Nutzen-Verhältnis: In der Botschaft zum Netzbeschluss 2012 veran-schlagte der Regierungsrat die Kosten auf 800 Millionen, was schon damals die Gegner der BTS als nicht realistische Schätzung bezeichneten. Mittlerweile hat der Kanton 7 Millionen in die Projektierung investiert und weiss es nun besser. Die Kosten haben sich mehr als verdoppelt. 1.6 Mrd für eine 2spurige, nicht richtungsgetrennte Strasse von 33 km. Und auch diese Zahl ist mit Sicherheit nur ein «Zwischenresultat» auf dem Weg nach oben…
Verkehrsaufkommen:
DTV zwischen Egnach und Amriswil 10’000 – 12’500 / zwischen Amriswil und Sulgen 10’000 – 12’500 / zwischen Sulgen und Weinfelden zwischen 15’000 – 17’500. Auch wenn in einzelnen Zentren Probleme bestehen (Arbon-Romans-horn / Amriswil) rechtfertigt dieses Verkehrsaufkommen keinen Ausbau der Strecke in diesem Ausmass. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist nicht gegeben.
Weitere Aspekte gemäss Beurteilungskriterien des ASTRA:
– Grösster Handlungsdruck: Ein Vergleich des Verkehrsaufkommens im Thurtal mit den DTV-Zahlen jener Regionen mit tatsächlichen Stauproblemen erklärt, weshalb der Bund die BTS nicht ins STEP aufnimmt: DTV Zürich Nord 128’300, Basel 129’100 / Bern 110’400 / Lausanne 107’800 (S 71 Erläuternder Bericht) Wir bestreiten nicht, dass einzelne Siedlungsgebiete zu entlasten sind. Der Vergleich mit gesamtschweizerischen DTV-Zahlen dokumentiert allerdings eindrücklich, dass es sich bei der gewünschten BTS um ein regionales Partikularinteresse handelt.
– Bedürfnisse des nationalen und internationalen Verkehrs: Die BTS beseitigt keine Engpässe, die nationalen oder internationalen Verkehr massgeblich behindern.
– Vermeidung von Problemverlagerungen: Mit dem Ausbau der Thurtalstrecke und der damit erhofften Reisezeitverkürzung im MIV würde zusätzlich Verkehr in die staugefährdeten Abschnitte Umfahrung Winterthur und Zürich Nord geführt.
– Potenzial des öV; Konkurrenzierung des öV.: Der öV ist auf der Strecke Winterthur – Romanshorn vorbildlich ausgebaut. Im Fern- und Regionalverkehr verkehren zwischen Winterthur und Weinfelden täglich über 140 Züge; zwischen Winterthur und Romanshorn 80 Züge. Das Gesamtverkehrskonzept Thurgau, April 2011 hält fest: „Die BTS erhöht andererseits die Kapazitäten und verkürzt die Reisezeiten im Strassenverkehr. Damit konkurrenziert sie den gut ausgebauten öffentlichen Verkehr und fördert die Verkehrsverlagerung auf der Ost-West-Achse Richtung MIV.“
– Lärm- und Luftbelastung: Ein Indikator der Kosten-Wirksamkeits-Analyse (und der Kosten-Nutzen-Analyse) ist die Luft- und Lärmbelastung. Insbesondere die Lärmbelastung der Anwohner wird von den Verfechtern der BTS als eines der wichtigsten Argumente ins Feld geführt. Wir bestreiten nicht, dass es einzelne Siedlungsgebiete mit diesbezüglichen Problemen gibt. Allerdings sind sie punktuell auf wenige Gebiete beschränkt und könnten auch mit einer kostengünstigeren Lösung angegangen werden als mit dem Bau einer 33 km langen Schnellstrasse, z.B. mittels örtlicher Umfahrungen oder Schallschutz-massnahmen.
Zudem ist zu bedenken, dass mit der zunehmenden Elektrifizierung der Fahrzeuge, künftig auch im Schwerverkehr, sowohl der Lärmpegel als auch die Luftbelastung sinken. Aber auch die sich ändernde Arbeitswelt – Homeoffice, Village Office, Videokonferenz – werden unsere Strassen tendenziell entlasten.
Im Weiteren ist es reichlich widersprüchlich, einerseits mit dem Argument des Lärmschutzes eine Schnellstrasse zu propagieren, auf der über weite Strecken Tempo 100 vorgesehen ist – was ja wiederum eine höhere Lärmbelastung zur Folge hätte.
– Sicherheit: Ebenfalls ein Indikator der Kosten-Wirksamkeits-Analyse (und der Kosten-Nutzen-Analyse) ist die Verkehrssicherheit. Die BTS ist als zweispurige, nicht richtungsgetrennte Strasse, grossenteils mit Tempo 100 vorgesehen. Die Hochleistungsstrasse „zweispurig, nicht richtungsgetrennt, Tempo 100“ hat sich nicht bewährt. Nicht die Unfall-Häufigkeit ist das Problem; es geht um die Unfallschwere. Und dass frontale Kollisionen mit Tempo 100 ungleich gravieren-der sind, ist eine physikalische Selbstverständlichkeit.
Der Netzbeschluss von 2012, Widerstand und Alternativen:
– Aus der Botschaft des Regierungsrates zur Volksabstimmung: «Finanzierung und Betrieb der rund 800 Millionen Franken teuren BTS werden aller Voraussicht nach ab 2014 in die alleinige Zuständigkeit des Bundes fallen.»
«Es herrscht Klarheit über den Verlauf der neuen Strassen, die Kosten und die Finanzierung.»
Nach zehn Jahren der Planung mit verschiedenen Varianten, nach einer Verdoppelung der Kosten und den berechtigten Einwänden des Bundes, dass dieses Projekt nicht den Kriterien für eine Übernahme ins STEP entspricht, ist von diesen Versprechungen nicht mehr viel übrig geblieben.
Die Abstimmungspropaganda pro BTS war noch direkter: Ein Nein zur BTS wäre ein finanzieller Schildbürgerstreich, denn «der Thurgau verzichtet, zur Freude anderer Kantone, auf Bundesgelder.» (z.B. Oberthurgauer Nachrichten, 9.8.12) So sieht regionales Partikularinteresse aus.
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass dennoch 45.4% der Stimmberechtigten nein zu dem versprochenen Geschenk sagten! (Interessant auch, dass die Stimmbürger am gleichen Abstimmungssonntag nein zu einer vorsorglichen Erhöhung der Motorfahrzeugsteuer sagten. Mit ihr hätte die OLS – Oberlandstrasse; kantonaler «Zwilling» der BTS – finanziert werden sollten. Strassen ja – aber nur wenn nicht von uns finanziert.)
– Die Thurgauer Umweltverbände, grün-linke Parteien, regionale Gruppierungen und ein bäuerliches Komitee bekämpften den Netzbeschluss (BTS und OLS).
– Ein Argumentarium BTS/OLS NEIN stellte mit einem alternativen Vorschlag zur Lösung der Verkehrsprobleme klar, dass die BTS-Gegner nicht keine Strasse, sondern ein kostengünstigeres, bodensparendes und besser etappierbares Projekt wollten. Dieser Vorschlag wurde konsequent als «Flickwerk» abgetan.